Der BigBrotherAward der Kategorie "Politik" geht an den Hessischen Innenminister Herrn Volker Bouffier.
Das Innenministerium des Landes Hessen hat unter der Leitung von Herrn Bouffier eine Polizeirechtsnovelle zu verantworten, mit der die Voraussetzungen zur Rasterfahndung erheblich herabgesetzt wurden. Auf diese Weise wurde gleichsam eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main konterkariert.
Herr Bouffier erhält den diesjährigen Preis stellvertretend für die Innenminister anderer Bundesländer, die nach dem 11. September 2001 ihre Polizeigesetze ad hoc ergänzten und dabei die Schwellen für eine Rasterfahndung - im Vergleich zu anderen Bundesländern - wesentlich herabsetzten.
Gründe
Die Rasterfahndung ist eine Befugnis aus dem Ausnahmezustand. Es handelt sich bei ihr um eine Fahndungsmethode, bei der notwendig die Daten von in jeder Hinsicht unverdächtigen BürgerInnen herangezogen werden.
Das kann im Rechtsstaat nur unter restriktivsten Voraussetzungen erlaubt sein; der Unverdächtige ist prinzipiell von staatlichen Organen in Ruhe zu lassen. Die Rasterfahndung ist deshalb unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nur dann nicht zu beanstanden, wenn sie sowohl in ihren gesetzlichen Voraussetzungen als auch in ihrer Anwendung diesem Ausnahme-Charakter entspricht. Nur konkrete und existentielle Gefahren dürfen mit ihrer Hilfe abgewehrt werden.
Der alte § 26 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung entsprach diesen Anforderungen.
Die Rasterfahndungen nach dem 11. September aber zeichneten sich nicht nur durch ein extrem unscharfes Täterprofil aus: In den Anordnungen wurden die "Verdächtigen" definiert mit Merkmalen wie: "Vermutlich islamische Glaubenszugehörigkeit ohne nach außen tretende fundamentalistische Grundhaltung, vermutlich legaler Aufenthalt, Studientätigkeit, keine Auffälligkeiten im allgemeinkriminellen Bereich, finanzielle Unabhängigkeit usw.". Es war schon zweifelhaft und wurde auch von so manchem Polizisten offen bekannt, dass solche Merkmale kaum geeignet sein konnten, Terroristen vom Schlage eines Mohammed Atta aufzuspüren.
Außerdem betont Bundesinnenminister Schily (Preisträger des vergangenen Jahres) bis heute, dass es überhaupt keine konkreten Anzeichen für Anschläge in der Bundesrepublik gibt. Tatsächlich verneint er damit explizit das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Rasterfahndung.
Auch das Hessische Polizeigesetz verlangte bis zu seiner von Herrn Bouffier initiierten Novellierung eine gegenwärtige Gefahr für ein höchst-rangiges Rechtsgut (wie etwa den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes). Ohne gegenwärtige Gefahr also keine Rasterfahndung.
Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte den Bundesinnenminister beim Wort genommen und die Rasterfahndung in Hessen für rechtswidrig erklärt. Und damit offenbar einen für den hessischen Innenminister unhaltbaren Zustand herbeigeführt, denn die Rasterfahndung war damit unverzüglich einzustellen. Durch das Urteil war damit das Schicksal einer Vorschrift besiegelt, die sich an den genannten engen Voraussetzungen für eine Polizeibefugnis, die Unverdächtige in Anspruch nimmt, orientierte.
Hervorzuheben - und deshalb preis-begründend - an der von Herrn Bouffier zu verantwortenden Gesetzesverschärfung ist zweierlei:
Das Erfordernis der "gegenwärtigen Gefahr" wurde ersatzlos gestrichen. Damit kann künftig gerastert werden, wenn das der vorbeugenden Bekämpfung von bestimmten Straftaten dient. Nachprüfbarer Tatsachen, aus denen sich die Bedrohung ergibt, bedarf es nicht mehr. Der Richtervorbehalt wurde zugunsten der Anordnung durch die polizeiliche Behördenleitung und die Zustimmung des Landespolizeipräsidiums ersetzt. Damit wurde die polizeiexterne Kontrolle durch einen anordnungsberechtigten Richter abgeschafft.
Herr Bouffier hat damit jene Hindernisse, die der Rasterfahndung nach der wohlbegründeten Entscheidung der Frankfurter Richter entgegenstanden, schlicht beseitigt, um damit auch in Hessen in Zukunft wieder rastern zu dürfen. Dazu wurde insbesondere die offenkundig lästige Mitwirkung einer polizeiexternen Institution kalt gestellt. Die Botschaft ist klar: Wenn die Gerichte nicht spuren, werden sie beim nächsten Mal erst gar nicht mehr gefragt. Und was wäre eine "moderne Terrorbekämpfung", wenn die Polizei auch noch Tatsachen, die auf das Vorliegen einer Bedrohung hinweisen, darlegen müßte? Solcherlei rechtsstaatliche Restriktionen erscheinen - auch Herrn Bouffier - nicht mehr zeitgemäß. Deshalb, und darin liegt ein rechtsstaatliches Drama, mußte die Rasterfahndung einen wesentlichen Charakterzug einer Ausnahmebefugnis verlieren.
Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Frau Prof. Dr. Jutta Limbach, warnte auf dem diesjährigen Anwaltstag, dass es allemal Grauzonen und schleichende Übergänge zum Polizeistaat gebe, die zu steter Wachsamkeit herausforderten. Die Verleihung des diesjährigen BigBrotherAward an Herrn Bouffier sollte als Ausdruck solcher Wachsamkeit verstanden werden.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Bouffier!