Unerlaubte Abfragen von Polizeidatenbanken
„Dass wir keine Rückmeldungen auf unsere BigBrotherAwards aus der Politik oder von Behörden bekommen, ist zwar eine Missachtung der Zivilgesellschaft, aber daran haben wir uns längst gewöhnt. Ein solches Nichtverhalten ist weder souverän noch demokratiefreundlich“, zieht Laudator Rolf Gössner eine bittere Bilanz. „Etliche der ‚ausgezeichneten’ privaten Unternehmen nehmen wenigstens Kontakt mit uns auf, wie auch dieser BBA-Jahrgang wieder gezeigt hat.“
Auf Medienanfragen hat das hessische Innenministerium immerhin geantwortet, wie wir dann in der Presse nachlesen konnten. Gegenüber dem Magazin „Stern“ zum Beispiel sagte der Pressesprecher des Ministeriums, es gebe keine Datenleitung in die USA. „Das haben wir auch nicht behauptet“, betont Rolf Gössner. Weiter wird das Innenministerium damit zitiert, dass Unbefugten Dritten kein Zugriff auf die Daten ermöglicht würde. „Auch das hat niemand behauptet, aber Mitglieder des Untersuchungsausschusses im hessischen Landtag kamen zu dem Schluss, dass ein unberechtigter Zugriff Dritter auch nicht zufriedenstellend ausgeschlossen werden kann.“
Lobend führt das Ministerium in mehreren Interviews zwei Ermittlungen gegen Terrorverdächtige an, die nur dank Hessen-Data erfolgreich gewesen seien. „Weder diese ministerielle Behauptung noch die zugrunde liegenden Fälle sind von außen und unabhängig überprüfbar“, so Rolf Gössner: „Im Übrigen würde sich dadurch an der Grundproblematik sowie an den negativen Auswirkungen von Hessen-Data ohnehin nichts ändern.“
Interessanterweise berichteten einen Monat nach unserer Preisverleihung mehrere Zeitungen darüber, dass hessische Polizistinnen und Polizisten die Polizei-Datenbanken offenbar regelmäßig für unerlaubte, nicht dienstlich begründete Abfragen missbrauchten. Im Innenausschuss des hessischen Landtags gab Landespolizeipräsident Udo Münch zu Protokoll, dass bei Stichprobenkontrollen solche Abfragen aufgefallen seien. Zum Beispiel sei die Sängerin Helene Fischer am Abend ihres Konzertes in Frankfurt 83 Mal abgefragt worden, obwohl sie mit Sicherheit nicht in 83 Personenkontrollen verwickelt war. Von Februar bis August 2019 seien insgesamt 9000 solcher mutmaßlich nicht dienstlicher Abfragen zur Überprüfung an den hessischen Landesdatenschutzbeauftragten weiter gegeben worden. Außerdem: Nur bei jeder 200. Abfrage müssen die Beamt.innen in einem Abfragefenster eintragen, was der dienstliche Grund für ihre Abfrage ist. Dort ist laut Aussage des Landespolizeipräsidenten z.B. einmal der Eintrag „Mickey Maus“ gefunden worden. Der betreffende Polizist sei daraufhin im Einzelgespräch noch einmal auf die Ernsthaftigkeit der Maßnahme hingewiesen worden.
Dazu Rolf Gössner: „Solche Verhaltensweisen zeugen von fehlendem Problembewusstsein. Der Missbrauch von Personenabfragen aus dem Polizeidatensystem kann schließlich zu bedrohlichen Folgen führen, wie etwa der Fall einer Frankfurter Anwältin zeigt, die Migrant.innen vertritt: Ihre Tochter wurde mit dem Tode bedroht. Das Drohschreiben stützt sich auf öffentlich nicht zugängliche Daten und war unterzeichnet mit ‚NSU 2.0‘. Ihre Personendaten waren kurz zuvor ohne dienstliche Begründung im hessischen Polizeidatensystem abgefragt worden.“
Mangelndes Problembewusstsein sehen wir z.B. auch in Nordrhein-Westfalen und Hamburg. In NRW will die Polizei „DAR“ (Datenbankübergreifende Analyse und Recherche) einführen, ebenfalls eine Analysesoftware, die Daten aus „polizeilichen und nichtpolizeilichen Datenquellen“ zusammn führen soll. In einer Ausschreibung werden 14 Millionen Euro dafür veranschlagt und die Zeitvorgabe für die Einführung ist Herbst 2020. Ob sich Palantir für diese Ausschreibung bewirbt, ist bei Redaktionsschluss des Jahrbuches noch nicht bekannt. Im Gesetzentwurf, den die rot-grüne Regierung von Hamburg im Sommer 2018 vorgelegt hat, soll nach Medienberichten § 49 eine ähnliche Datenanalyse ermöglicht werden, so dass der Kriminologe Simon Egbert gegenüber Netzpolitik.org von einem „Palantir Paragrafen“ sprach.
„Die Anschaffung von Palantirs ‚Gotham‘-Software im Bundesland Hessen scheint sich als Türöffner für andere Bundesländer zu entpuppen“, befürchtet Rolf Gössner. „Die Gefahr besteht, dass nach und nach die meisten Bundesländer und der Bund solche Analysesoftware für ihre polizeilichen IT-Systeme anschaffen – wodurch sich die damit verbundenen Gefahren und Probleme erheblich potenzieren würden.“