Bundesfinanzministerium
Der BigBrotherAward 2023 in der Kategorie Behörden und Verwaltung geht an das Bundesfinanzministerium, vertreten durch Bundesfinanzminister Christian Lindner.
Wir verleihen diesen BigBrotherAward 2023 für das seit dem 1. Januar 2023 geltende Plattformen-Steuertransparenzgesetz (PStTG).
Was folgt aus diesem neuen Gesetz – und wen betrifft es?
Das Gesetz betrifft alle Menschen, die über Plattformen im Internet wie etwa ebay oder ebay-Kleinanzeigen private Verkäufe abwickeln, nachdem sie ihren Keller entrümpelt haben.
Stellen Plattformbetreiber fest, dass jemand innerhalb eines Kalenderjahres die Zahl von dreißig Verkäufen und mehr als 2.000,00 € Gesamtumsatz auf ihrer Plattform erreicht, müssen sie die entsprechenden Daten automatisch an das Bundeszentralamt für Steuern übermitteln. Das ist die neue gesetzliche Meldeschwelle. Außerdem müssen diese Informationen nach der Übermittlung für zehn Jahre vorgehalten werden – sowohl von den Plattformbetreibern als auch von der Finanzverwaltung.
Das Gesetz verlangt also eine zehnjährige doppelte Vorratsdatenspeicherung. Und das, obwohl für die meisten Privatverkäufe überhaupt keine Steuerpflicht besteht – selbst wenn sie die völlig willkürlich gesetzte Meldeschwelle überschreiten. Eine enge und klare Begrenzung der beabsichtigten Verarbeitungszwecke dieser Vorratsdatenspeicherung, die datenschutzrechtlichen Vorgaben entsprechen würde, ist obendrein nicht erkennbar.
Nach der Gesetzesbegründung1 setzt das Plattform-Steuertransparenzgesetz die sog. „EU-Amtshilferichtlinie“ in deutsches Recht um, die den europaweiten Informationsaustausch zwischen Behörden für Steuerzwecke regelt. Über diesen Zweck schießt das Gesetz allerdings weit hinaus. Offiziell, um „mehr Steuergerechtigkeit“ zu schaffen.2
Natürlich ist es in Ordnung, dass beispielsweise Einkünfte aus dauerhaften Vermietungen über „airbnb“ oder Mitwagenangeboten über „Uber“ ebenso versteuert werden müssen wie Verkäufe durch professionelle „Powerseller“ über eine „ebay“-Plattform. Nicht in Ordnung ist es, Plattformbetreiber dazu zu verpflichten, alle bei ihnen anfallenden Daten auszuwerten – um diejenigen herausfiltern zu können, die im Kalenderjahr mehr als dreißig private Online-Verkäufe getätigt und dabei mehr als 2.000,00 € eingenommen haben.
Nach der entsprechenden Meldung an das Bundeszentralamt für Steuern kann es privaten Verkäufern jetzt passieren, dass das Finanzamt pauschal Steuern nachfordert – es sei denn, die Verkäufer können anhand von Quittungen nachweisen, wann und zu welchem Preis sie die veräußerten Gegenstände ursprünglich erworben haben. Allerdings werfen viele Menschen Kaufbelege spätestens dann weg, wenn Garantiefristen abgelaufen sind. Manche sogar früher.
Das Argument, es ginge hier um Steuergerechtigkeit, läuft schon deshalb ins Leere, weil private Verkäufe nur in einem beschränkten Umfang steuerpflichtig sind. Nach § 23 Einkommenssteuergesetz gibt es etwa für private Verkäufe von Gegenständen des täglichen Bedarfs (etwa gebrauchte Babybekleidung oder eine nicht mehr benötigte Küchenmaschine) oder für solche, die jemand länger als ein Jahr besitzt, keine Steuerpflicht. Und bei Gegenständen, die innerhalb eines Jahres nach dem Kauf wieder veräußert werden, müssen erzielte Gewinne nur dann versteuert werden, wenn sie mehr als 600,00 € betragen. Die Steuerpflicht ist für private Verkäufe die Ausnahme – und nicht die Regel.
Das Plattformen-Transparenzgesetz gründet aber auf der Annahme, dass den zuständigen Finanzbehörden ohne flächendeckende Informationen durch die Plattformbetreiber steuerpflichtige Erlöse „durch die Lappen“ gehen können. Nach dieser Logik müssten künftig auch hinter jedem privaten Flohmarktstand Kontrolleure der Finanzämter stehen, die Verkaufszahlen und Umsätze erfassen.
Portalbetreiber müssen jetzt zu allen Verkäufen die folgenden Daten verarbeiten, um die Meldepflicht gegenüber der Finanzverwaltung zu erfüllen, die ihnen das neue Gesetz nach § 13 Abs. 2 vorgibt:
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Vor- und Nachnamen der Verkäufer, Geburtsdaten sowie Anschriften,
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Steueridentifikationsnummern und ggf. Umsatzsteuernummern oder Finanzkonten,
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Gebühren, Provisionen und Steuern, die Plattformbetreiber für private Verkäufe einbehalten oder berechnet haben sowie
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Ausgezahlte oder gutgeschriebene Vergütungen, die private Verkäufer von den Plattformbetreibern pro Quartal des Meldezeitraums bekommen
Darüber hinaus müssen die Plattformbetreiber nach § 18 Abs. 1 PStTG eine Plausibilitätsprüfung zu den getätigten Verkäufen vornehmen – anhand aller ihnen legal zur Verfügung stehenden Informationen und Unterlagen. Was an dieser Stelle unter dem Begriff „Plausibilitätsprüfung“ zu verstehen ist, lässt der Gesetzgeber völlig offen. Beispielhaft wird auf einen Abgleich von Anschriften der Verkäufer und deren Steueridentifikationsnummern mit den „Transaktionsunterlagen“ der meldenden Plattformbetreiber verwiesen.
Mit dem Verzicht auf eine abschließende Benennung zulässiger Verarbeitungszwecke stellt das PStTG den Portalanbietern außerdem einen Blankoscheck dafür aus, das Verhalten von privaten Verkäufern umfassend zu durchleuchten und zu analysieren – und die dabei gewonnen Erkenntnisse für eigene Interessen zu verwenden.
Die gesammelten Daten können zum Beispiel auch dafür genutzt werden, KI-Software so zu trainieren, dass sie Auffälligkeiten aller Art im Kaufverhalten erkennt. Das Gesetz will es ja so. Wie praktisch.
Erforderlich für die vom Gesetzgeber angestrebte Steuergerechtigkeit ist diese umfassende Vorratsdatenspeicherung nicht. Ob es sich wirklich um „private Flohmarktverkäufe“ handelt, oder ob professionelle und damit steuerpflichtige Geschäfte nur als solche bemäntelt werden – das konnten Plattformbetreiber auch vorher schon erkennen. Und sie können auch feststellen, ob bei privaten Weiterverkäufen neuer Gegenstände steuerpflichtige Gewinne anfallen.
Plattformbetreiber wissen schon heute ganz genau, welchen Wert gebrauchte Gegenstände haben und welche Gewinne sich im Einzelfall mit privaten Verkäufen erzielen lassen. Dieses Wissen schlägt sich in „Preisvorschlägen“ nieder, die Anbieter auf vielen „Kleinanzeigenplattformen“ beim Erstellen privater Verkaufsangebote bekommt. Aus diesen Preisvorschlägen lassen sich auch mögliche Gewinne ableiten. Werfen wir zur Veranschaulichung einen beispielhaften Blick ins „Luxussegment“: Für den privaten Verkauf einer brandneuen Rolex „Submariner Date 126610LN“ (Ladenpreis aktuell 10.100,00 €) benennt ein großes Verkaufsportal nach Eingabe des entsprechenden Schlagworts eine Angebotspreisspanne zwischen 11.000,00 € und 15.900,00 €. Schon ein Verkauf zum Mindestpreis verspricht damit einen schnellen Gewinn oberhalb des steuerfreien Betrags von 600,00 €.
Anders sieht es beim geplanten Privatverkauf einer neuen Junghans Max Bill Automatik Uhr (aktueller Listenpreis 1.325,00 €) aus, für die ein Verkaufspreis von 480,00 und 1.200,00 € vorgeschlagen wird.
Um dem Ziel der Steuergerechtigkeit näher zu kommen, wäre es völlig ausreichend gewesen, im Plattformen-Transparenzgesetz die Verpflichtung zur Meldung von offenkundig einkommenssteuerpflichtigen Gewinnen zu verankern – statt einer ausufernden, umfassenden Vorratsdatenspeicherung ohne transparent und abschließend festgelegten Verwendungszweck, die zurück in die graue Vorzeit führt. Denn etwas Ähnliches gab es vor ziemlich genau vierzig Jahren schon einmal, mit der damals geplanten Volkszählung. Und dazu hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 15.12.19833 festgestellt, sie sei ein Verstoß gegen das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“.
Auch der Europäische Gerichtshof hält eine gesetzlich vorgeschriebene, flächendeckende staatliche Vorratsdatenspeicherung von Personen für unzulässig, die nicht auch nur mittelbar Anlass zur Strafverfolgung geben.4 Das gilt auch für Menschen, die nicht steuerpflichtige private Online-Verkäufe tätigen.
Vor diesem Hintergrund kann die datenschutzrechtliche Bewertung des Plattformen-Transparenzgesetzes nur wie folgt ausfallen: Eine Vorratsdatenspeicherung, die weitgehend zweckfrei und für die betroffenen Personen intransparent bleibt, steht im Widerspruch zu den allgemeinen Grundsätzen in Art. 5 Abs. 1 DSGVO – wie der Nachvollziehbarkeit von Verarbeitungen, der Zweckbindung und der Datenminimierung.
Wir hoffen, dass der Gesetzgeber den BigBrotherAward 2023 zum Anlass nimmt, das Plattformen-Transparenzgesetz umfassend zu überarbeiten und die vorgeschriebene Meldepflicht auf solche Fälle zu beschränken, in denen eine Steuerpflicht offenkundig gegeben ist – statt die Daten von Menschen ins Visier zu nehmen, die online ihre Hamsterkäfige, Kinderwagen oder Wintermäntel verkaufen.
Damit sollte er nicht warten, bis ihm ein Gericht die Arbeit abnimmt. In diesem Sinne, herzlichen Glückwunsch Bundesfinanzministerium und Bundesfinanzminister Christian Lindner zum BigBrotherAward 2023.