Der BigBrotherAward 2021 in der Kategorie Verkehr geht an die Europäische Kommission für die Einführung des „On-Board Fuel Consumption Meter“ (OBFCM).
Was verbirgt sich dahinter?
Die Autohersteller nehmen es bei den Angaben für Schadstoffausstoß meist nicht so genau. Man kann auch sagen: Es wird gemogelt, dass sich die Balken biegen. Das wissen wir spätestens seit dem Diesel-Skandal. Und dass auch der Benzinverbrauch unter realen Fahrbedingungen nicht nur geringfügig von den im Autohersteller-Labor gemessenen Werten abweicht, ist keine große Überraschung.
Für die EU ist es wichtig, realistische Verbrauchsdaten zu ermitteln, da den Herstellern eine Obergrenze des CO2-Ausstoßes für Neuwagen auferlegt wurde. Bei Überschreitung werden Strafen fällig1. Außerdem sollen potentielle Autokäufer.innen eine Idee bekommen, was ihr Wunschauto tatsächlich verbraucht, und nicht nur schöngerechnete Werte. Deshalb sollen die Verbrauchswerte nicht nur im Labor, sondern an den tatsächlich gefahrenen Autos ermittelt werden.
Die gut gemeinte Idee: Moderne Autos können doch ohnehin sämtliche Motordaten erfassen, die beim normalen Betrieb des Fahrzeuges anfallen, also die Werte der Motorsteuerung, der Einspritzanlage etc. Sie verfügen über einen mächtigen Bordcomputer für die Steuerung und sind – dank dem BigBrotherAward-Preisträger von 2014 („e-Call“) – auch bereits mit einem Mobilfunkmodul ausgestattet, welches diese ganzen Daten sogar in Echtzeit übermitteln kann. Sowas nennt sich „Telemetrie“ (oder weniger technisch: „nach Hause telefonieren“). Für Telemetrie in Windows 10 hat Microsoft im Jahr 2018 einen BigBrotherAward bekommen. Und wenn das Auto das alles sowieso kann, braucht man gar keine Laborwerte mehr, die womöglich geschönt und frisiert werden.
Gut, bei der Übertragung per Mobilfunk könnte man jetzt denken: Puh, tja, ist der Echtzeit-Anspruch nicht etwas übertrieben? Könnte man die Daten nicht einfach sammeln und beim nächsten Werkstattaufenthalt auslesen? Klar, das ginge, aber neue Autos müssen erst nach drei Jahren zum TÜV, so lange müsste die EU-Kommission auf die Daten warten. Mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel ist das eine lange Zeit.
Für die nun laufende Testphase von fünf Jahren hat sich die EU-Kommission bei der Umsetzung der Verordnung 2019/6312 dafür entschieden, die Hersteller mit der Datensammlung zu beauftragen.
Aha. Die Autohersteller.
Die bisher sooo „ehrlich“ bei den Angaben zu Schadstoffen und Verbrauchswerten waren.
Ernsthaft?
Das hat sich die EU-Kommission wohl auch gefragt - und möchte deswegen detailliert, für jedes Auto mit seiner Fahrzeugidentifikationsnummer, in dichten Abständen, die Verbrauchswerte, gefahrene Kilometer und ggf. weitere Parameter übermittelt bekommen, damit soll eine Schummelei seitens der Hersteller unterbunden werden.
Kleiner Schönheitsfehler: Die Hersteller sind immer noch im Boot. Mehr noch: Sie bekommen die umfangreichen individuellen Telemetriedaten frei Haus geliefert, die sie sonst nur mit ausdrücklicher Einwilligung des Halters erheben dürften. Und nicht nur das, sondern darüber hinaus nicht genauer von der Verordnung spezifizierte „weitere Parameter“. Eine höchst willkommene weitere Datenquelle für die Hersteller.
Zwar steht in der EU-Verordnung, dass die Fahrzeug-Identifizierungsnummern „lediglich für die Zwecke dieser Datenverarbeitung verwendet und nicht länger als dafür notwendig gespeichert“ werden sollen, aber wie lange das ist, da möchte sich lieber niemand so genau festlegen. Fest steht: So lange die Motordaten mit der Fahrzeug-ID verknüpft bleiben, sind auf jeden Fall umfangreiche Einblicke in das individuelle Fahrverhalten möglich.
Laut einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der FDP3 ist sich die Bundesregierung sicher, dass mit dieser Technik keine Bewegungsprofile erstellt werden können, und abgesehen von der Datenbank beim Kraftfahrzeug-Bundesamt und denen der Versicherungen gäbe es auch keine Verknüpfung zwischen den Fahrzeugnummern und Halter.innen. Aber wie wir aus der Vergangenheit wissen, gerade wenn es um Bewegungsdaten geht: Wo ein Trog ist, kommen die Schweine. Wenn die Daten erstmal gesammelt sind, findet sich auch schnell ein Bedarf mit einem „berechtigten Interesse“ dafür.
Und nicht nur die EU-Kommission, auch die Bundesregierung hätte solche Daten gerne. Sie plant die Initiative „Datenraum Mobilität“. Dort sollen vor allem die deutschen Autohersteller und Mobilitätsanbieter ihre Daten „teilen“, so das Ziel des Projektes. Wer da was mit wem teilt, ist aber noch reichlich unklar. Es gibt bestimmt sinnvolle Anwendungen für so einen Datenpool. Aber es lässt auch erahnen, wie zukünftig die Autofahrer.innen darum kämpfen müssen, dass ihre Bewegungsdaten nicht zum Freiwild werden.
Mit der elektronischen Verbrauchsdatenerfassung und -übermittlung (die englische Abkürzung dieses Verfahrens ist „OBFCM“) wird ein weiteres Mosaiksteinchen in Richtung gläserne Autofahrer.innen gelegt, obwohl dies gar nicht notwendig wäre. Wir sehen mit Sorge, wie Telematikdienste ihren Weg in die Autos finden und der Datenschutz dabei auf der Strecke bleibt.
Deshalb sagen wir für diese EU-Verordnung 2019/631: Herzlichen Glückwunsch, zum BigBrotherAward 2021, liebe EU-Kommission.
Laudator.in
1 auto-motor-und-sport.de: VW-Konzern zahlt trotz E-Auto-Offensive Millionen (Web-Archive-Link)