Gastbeitrag von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
– Es gilt das gesprochene Wort –
Das ist wieder ein Highlight, eine Sternstunde, in diesem Jahr: Die Vergabe der BigBrotherAwards gegen Datenkraken.
Diesen Preis möchte wirklich niemand haben, denn er deckt Datenschutzverletzungen auf und macht sie öffentlich.
Denn nichts scheuen Datenkraken mehr als Transparenz und das Licht der Öffentlichkeit. Das gilt für staatliche Institutionen genauso wie für Unternehmen.
Digitalcourage hat sich große Verdienste erworben und macht jeder Bürgerin und jedem Bürger Mut. Es gibt mit Digitalcourage einen Anwalt zur Verteidigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und zum Schutz der Privatsphäre und dieser Verteidiger ist kompetent, nachhaltig, raffiniert und schlau.
Denn worum geht es? Es geht um die Verteidigung der Freiheits- und Grundrechte und gegen immer mehr Überwachung und Ausspähen. Es geht darum, auch in Zeiten terroristischer Gefährdungen die Rechte der Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen. Das ist angesichts eines deutlichen Trends bei den Sicherheitsbehörden und der Bundesregierung, im Zweifel immer für mehr Eingriffsbefugnisse und gegen das Recht auf Datenschutz und den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu entscheiden, dringend notwendig.
Mangels wirklich effektiver Oppositionsarbeit im Deutschen Bundestag muss die Zivilgesellschaft sich für die Grundrechte einsetzen.
Sie sind die Grundlage unserer Demokratie, unseres Zusammenlebens und sie sind zunehmend unter Druck. Die Religionsfreiheit durch islamophobe und antisemitische Haltungen in der Bevölkerung, die ein öffentliches Sprachrohr bekommen haben. Das Post- und Fernmeldegeheimnis durch die anlasslose Vorratsdatenspeicherung der Telekommunikationsverbindungsdaten. Die Privatsphäre durch Staatstrojaner und Überwachung der privaten Wohnung. Die informationelle Selbstbestimmung durch staatliche und private Datensammelwut ohne Begrenzung.
Digitalcourage hat in einem großen Bündnis mit vielen anderen Organisationen, Berufsverbänden von Journalistinnen und Ärzten, Gewerkschaften, AIDS-Hilfe und Telefonseelsorge jährliche Großdemonstrationen in Berlin und bundesweit organisiert, bei Zehntausende Bürgerinnen und Bürger gegen Überwachung auf die Straße gegangen sind unter dem Motto „Freiheit statt Angst“. Angst darf nicht als Anlass dienen, die Eingriffsbefugnisse zur massenhafte Überwachung der Bürger immer weiter auszudehnen. Absolute Sicherheit gibt es nicht.
Es muss endlich Schluss sein mit den unbegründeten Behauptungen, für unsere Sicherheit müssten wir unsere Freiheit aufgeben!
Die Terroristen von Paris, Brüssel, Ankara und im Libanon bekämpfen brutal, menschenverachtend unsere Freiheiten, unsere Lebensweise, unsere offene Gesellschaft. Schaffen wir selbst unsere Freiheitsrechte ab, haben sie schon gesiegt.
Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder die Politik und den Gesetzgeber zu Gunsten der Freiheitsrechte korrigiert. Lauschangriff, Vorratsdatenspeicherung, Luftsicherheitsgesetz, online – Durchsuchung, Rasterfahndung, Antiterrordatei – immer wieder hat das Bundesverfassungsgericht den Kernbereich privater Lebensgestaltung gegen den ausufernden Sicherheitsstaat verteidigt.
So auch diese Woche, als das BKA –Gesetz der großen Koalition von Anfang 2009 in Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde. Wieder einmal hatte der Gesetzgeber die verfassungsgerichtlichen Vorgaben zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht beachtet. Das Vorgehen gegen Terrorismus rechtfertigt eben nicht jedes Mittel, nicht das Ausspähen jeden Computers, nicht die schrankenlose Weitergabe personenbezogener Daten an ausländische Geheimdienste und nicht die weitgehende Überwachung von Rechtsanwälten.
Diese Entscheidung verlangt vom Gesetzgeber klare Rechtsgrundlagen mit Grenzziehung zum Informationsaustausch unter Geheimdiensten und kann auch Bedeutung für die Überprüfung der Neuauflage der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung entfalten.
Es handelt sich bei dieser anlasslosen Vorratsdatenspeicherung um eine unendliche Geschichte, weil die große Koalition nicht einsehen will, dass diese massenhafte Überwachung des Telekommunikationsverhaltens aller Bürger in Deutschland eine schwerwiegende Verletzung ihrer Grundrechte bedeutet.
Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Gerichtshofs der Europäischen Union, mit denen das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung und die europäische Richtlinie als Verstoß gegen das Grundgesetz und die europäische Grundrechte - Charta verworfen wurden, halten die CDU/CSU/SPD - Koalition nicht davon ab, mit dem täuschenden Begriff der Höchstspeicherfristen erneut diese Überwachung des Telefonverhaltens gesetzlich zu erlauben.
Es werden alle Gutachten ignoriert, die deutlich machen, dass mit dieser Massenüberwachung terroristische Anschläge nicht verhindert werden. Daten und Informationen haben die Sicherheitsbehörden in ausreichendem Maß. Sie sind, wie Belgien zeigt, nur nicht richtig verwandt worden.
Deshalb klagen Liberale, Digitalcourage, Abgeordnete und andere Organisationen gegen dieses Gesetz in Karlsruhe. Getrennt marschieren, vereint gewinnen, ist unsere Maxime.
Digitalcourage steht auch dafür, dass Protest und Engagement sich lohnen. Aus eigener Erfahrung als Ministerin ermutige ich die Bürger, ihre Rechte zu verteidigen und sich auch friedlich gegen politische Entscheidungen aufzulehnen. Eingaben an Ministerien machen Sinn. Denken Sie nur an das EU- Übereinkommen zu ACTA. Urheberrechte im digitalen Zeitalter können nicht mit teuren Abmahnungen und unklaren Regelungen durchgesetzt werden. Nach den massenhaften Protesten habe ich als Ministerin in der letzten Legislaturperiode die Zeichnung dieses ACTA - Abkommens verweigert, weil die Bedenken berechtigt waren. Das Europäische Parlament hat nachgezogen und ACTA war ad acta gelegt.
Die anlasslose Speicherung der Flugpassagierdaten ist der nächste Schritt zur Überwachung des Flugverhaltens von 500 Millionen europäischen Bürgern. Das Europäische Parlament hat diese Regelung vor wenigen Tagen beschlossen. Wieder wird ignoriert, dass anlasslose Ausspähungen die Grundrechte massiv verletzen. Es sind Verfassungsrechte zum Schutz der Privatsphäre und der personenbezogenen Daten.
Diese Rechte sind keine museale Erinnerung an frühere Zeiten, sondern aktuell wie nie. Artikel 7 und 8 der europäschen Grundrechte- Charta binden gerade den europäischen Gesetzgeber.
Diese Rechte auch in der Digitalisierung zu leben und zu verteidigen, ist das Kernanliegen von Digitalcourage. Und genauso meine Motivation.
Ich bin davon überzeugt, dass sehr viele Bürger nicht wollen, dass sie ausgespäht, überwacht und kontrolliert werden. Das geht jeden an, denn alle Daten werden gesammelt- ohne jeden Tatverdacht. Potentiell sind erst einmal alle IT - Nutzer und bald auch Flugpassagiere auf dem Weg in die Ferien nach Spanien, Italien oder die Türkei verdächtig.
Das wollen wir nicht. Nur wenn es einen konkreten Tatverdacht gibt, darf die Polizei Informationen über das Telefonverhalten einzelner Verdächtiger bekommen.
Diese vielen Einzelbeispiele zeigen einen jahrzehntelangen Trend in der Innen – und Rechtspolitik, besonders seit den Anschlägen 9/11: Mit immer mehr Sicherheitsgesetzen will man den Terror „ besiegen „. Und es wird dabei überhaupt nicht gesehen, dass immer mehr Eingriffsbefugnisse und Freiheitsbeschränkungen nicht mehr Sicherheit bringen.
Die Freiheit stirbt scheibchenweise, erst wenn sie verschwunden ist, wird es bemerkt und dann ist es zu spät. Die BigBrotherAwards wollen gegen diese Entwicklung mobil machen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger