Wirtschaft (2009)

Überwachungstechnik

Den BigBrotherAward 2009 in der Kategorie „Wirtschaft“ erhalten eine Handvoll deutsche Firmen, die Überwachungstechnik für Internet und Telefon anbieten und damit gutes Geld verdienen, aber am liebsten im Verborgenen bleiben möchten.
Laudator.in:
Frank Rosengart am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
Frank Rosengart, Chaos Computer Club (CCC)

In den letzten Jahren wurden durch die neuen bzw. verschärften Sicherheitsgesetze der Bundesregierung die Überwachungsmöglichkeiten, aber auch -pflichten von Telekommunikations- und Datenübertragungsanbietern enorm ausgeweitet. Man denke nur an die Vorratsdatenspeicherung der Telefonverbindungsdaten oder an Online-Durchsuchungen von Heimcomputern. Entsprechend hat sich ein lukrativer Markt für technische Lösungen entwickelt, der darauf abzielt, den Behörden bei der Überwachung behilflich zu sein.

Der diesjährige BigBrotherAward in der Kategorie Wirtschaft geht nicht an einen einzelnen Gewinner, sondern kollektiv an die besonders eifrigen Lösungsanbieter in diesem Schnüffelbereich, von denen wir einige hier vorstellen wollen:

Die Firma Quante Netzwerke GmbH z.B. bietet Internetprovidern die technische Abwicklung und die juristische Prüfung von behördlichen Überwachungsanordnungen an. Ihr Produkt „Lawful Interception Center” ist das privatwirtschaftliche Gegenstück zur „Bundesabhörzentrale“, Schäubles „Servicezentrum für die Telekommunikationsüberwachung”. Und das geht so: Die Behörden schicken ihre Überwachungsanordnung zur Firma Quante, die per direkter Leitung zum Provider-Netzwerk die Abhörmaßnahme durchführt. Dies setzt voraus, dass der „outsourcende“ Provider einen privilegierten Zugriff auf seine Systeme einrichtet, damit Quante die überwachten Verbindungen „ausleiten“, also an die abhörende Behörde weiterleiten kann. So bedenklich dieses Outsourcing anmutet, aus Sicht der Provider ist es verständlich. Sie müssten sonst für jedes neue Überwachungsgesetz ihre Technik aufrüsten und qualifiziertes Personal vorhalten.

Ein anderes Produkt, die „Data Retention Suite” der Firma Utimaco Safeware aus Oberursel ist spezialisiert auf die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung. Die riesigen Datenmengen, die hier täglich anfallen, werden in so genannten „Data Warehouses” gespeichert und stehen auf Anfrage sekundenschnell zur Verfügung. Wie auch bei Quante ist dieses Produkt als „Pool-Lösung“ gestaltet, so dass ein System von mehreren Kunden gleichzeitig genutzt werden kann. Problematisch ist dabei die zentrale Sammlung der Daten. Behördenanfragen können über genormte Schnittstellen automatisiert durchgeführt werden, so dass die bisher übliche formale Prüfung der Anordnung durch einen Juristen unmöglich wird. Die automatisierte Abfrage ist gesetzlich vorgeschrieben und durch eine „Technische Richtlinie TKÜ” definiert.

Auf das Mitlauschen im Internet ist die Firma Datakom in Ismaning spezialisiert. Sie ist nach eigenen Angaben „Marktführer bei Technologien für die Verbrechensbekämpfung bei Netzbetreibern und Ermittlungsbehörden”. Ihre Tochterfirma für Schnüffelprodukte heißt passenderweise „GTEN” in Anlehnung an den §10 Grundgesetz, der die Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses zum Inhalt hat.

Seit 18 Jahren im Geschäft ist die Firma Syborg, mittlerweile durch die amerikanisch-isrealische Firma Verint/Comverse übernommen. Syborg liefert vor allem Systeme zum Mitschneiden von Gesprächen zur amtlichen „Datenerhebung und Ausleitung“.

Als Platzhirsch im deutschen Abhörbusiness darf die hessische Firma Digi-Task bezeichnet werden, die erst letztes Jahr in die Schlagzeilen geriet wegen einer Anfrage des Bayerischen Landeskriminalamtes für eine Spionagesoftware, kurz „Trojaner“. 3.500 Euro pro Monat sollte der Einsatz dieser Software kosten, mit der sich laut Angebot verschlüsselte Telefonate über den Skype-Dienst abhören lassen. Wie sich aus veröffentlichten Ausschreibungsunterlagen zusammenrechnen lässt, erhielt die Firma Digi-Task im letzten Jahr von deutschen Behörden allein fünf Millionen Euro für solche Überwachungsanlagen und -Systeme. Zusammen mit der Firma Reuter electronic entwickelt Digi-Task spezialisierte Abhörvorrichtungen für Polizei und Geheimdienste.

An einem Produkt kommt kein deutscher Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen vorbei: Jede Überwachungsanlage muss mit einer „SINA-Box” der Firma secunet ausgestattet sein, welche die Übertragung der abgehörten Kommunikation auf dem Weg zur Behörde verschlüsselt. Mitbewerber gibt es keine. Derzeit verfügt nur dieses eine Produkt über eine entsprechende Zulassung.

Kein deutsches Produkt, aber weltweit bei Internetprovidern in IP-Netzwerken eingesetzt, ist die „Service Control Engine” der Firma Cisco. Sie ermöglicht eine „Deep Packet Inspection”, d.h. eine genaue Untersuchung der Datenpakete bis zur Volltextsuche nach Begriffen oder bestimmten Daten mit einer Geschwindigkeit von bis zu 10 Gigabit pro Sekunde. Damit ist jeder Zweifel ausgeräumt, dass eine umfassende Internet-Überwachung auch bei wachsenden Datenmengen problemlos machbar ist.

International tätig und erfolgreich mit Überwachungstechnik war die Firma Nokia Siemens Networks, kurz NSN, welche im letzten Jahr ein Aufzeichnungssystem für Handygespräche in den Iran geliefert hat und dafür auch öffentlich kritisiert wurde. NSN hat im März 2009 seine Überwachungssparte an eine Münchner Beteiligungsgesellschaft verkauft, welche die Firma nun unter dem Namen Trovicor führt. Die wirklich heiklen Geschäfte mit Überwachungstechnik dürften mittlerweile über diese Firma laufen.

Wir brechen die Aufzählung an dieser Stelle ab – und erlauben uns folgende Schlussbemerkung: Sicher gibt es viele Fälle, wo Kommunikationsüberwachung zur Aufklärung von Straftaten eingesetzt werden kann. Der große Zuwachs der Überwachungsmaßnahmen deutet aber auf einen gefährlichen Trend hin. Und schlussendlich können die Überwachungsphantasien von Ministern und Behörden nur deswegen so leicht umgesetzt werden, weil für jede noch so absurde Überwachungsidee sofort ein Hersteller mit einer technischen Lösung parat steht. Das Gewissen kommt nach dem Profit.

Einige dieser Firmen verdienen gut am Export ihrer Spitzeltechnologie in Länder, wo es mit der Demokratie wesentlich schlechter steht als bei uns. Zum Beispiel via Dubai gelangt die Technologie in alle Welt, und die deutsche Ausfuhrkontrolle kann oder will wohl nicht so genau hinschauen.

Wir sind der Meinung: Liebe Preisträger, auch wenn ihr nicht namentlich genannt worden seid, eure Produkte tragen dazu bei, dass unser aller Grundrechte weiter unterlaufen und sukzessive ausgehebelt werden. Technologien, die die Überwachung ganzer Gesellschaften ermöglichen, führen zu einem Klima des Misstrauens und der Angst. Daran möchten wir Euch mit diesem BigBrotherAward in der Kategorie „Wirtschaft“ erinnern.

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Laudator.in

Frank Rosengart am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
Frank Rosengart, Chaos Computer Club (CCC)

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

Ausgerichtet von (unter anderem):

BigBrother Awards International (Logo)

BigBrotherAwards International

Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.