Der BigBrotherAward 2005 in der Kategorie "Politik" geht an den Innenminister des Landes Hessen, Herrn Volker Bouffier.
Sie werden ausgezeichnet für das von Ihnen zu verantwortende neue Hessische Polizeigesetz, mit dem das Fernmeldegeheimnis weiter beschnitten, die informationelle Selbstbestimmung zunehmend ausgehöhlt und der öffentliche Raum fortschreitend zu einer komplett zu überwachenden Zone degradiert wird.
Alleine die Anzahl der neuen oder ergänzten Vorschriften macht es mir unmöglich, Ihnen, Herr Bouffier, eine komplette Liste Ihrer freiheitsfeindlichen Untaten vorzuhalten. Ich muss mich also beschränken auf diejenigen Eingriffsermächtigungen, bei denen die Verstöße gegen rechtsstaatliche Maßstäbe besonders eklatant sind.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die neue Regelung über die Telekommunikationsüberwachung, kurz TKÜ. In Hessen haben Sie jetzt das Abhören von Telefonen und den Einsatz von so genannten IMSI-Catchern erlaubt. IMSI-Catcher sind Geräte, mit denen der Standort von Menschen mit Handys auch, wenn sie nicht telefonieren, schnell festgestellt werden kann. Die präventive TKÜ und der Einsatz des IMSI-Catchers sind erlaubt zur Abwehr von gegenwärtigen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit einer Person. Unsere Kritik: Entgegen der ausdrücklichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sieht Ihr Gesetz dabei keine Regelungen vor, die den absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung schützen. Zu diesem Kernbereich gehören zum Beispiel Gespräche zwischen Ehepartnern, nahen Angehörigen und sonstigen Personen des höchstpersönlichen Vertrauens.
Jetzt werden Sie, Herr Bouffier, einwenden, dass etwa ein Geiselnehmer kaum während eines Banküberfalls am Telefon mit seiner Frau über Details des Ehelebens plaudert. Dabei übersehen Sie allerdings, dass der Begriff der gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben nach dem 11. September 2001 schweren Schaden erlitten hat. Viele Gerichte meinten, dass schon die abstrakte Möglichkeit, dass irgendwann einmal irgendjemand irgendeinen Anschlag verüben könnte, ausreicht, um eine gegenwärtige Gefahr annehmen zu können. "Gegenwärtige Gefahren für Leib und Leben" scheinen in Zeiten des globalen Terrors überall und jederzeit zu lauern. Wer aber will im permanenten Ausnahmezustand noch ausschließen, dass durch Ihre neue Befugnis eben auch solche Telefonate mitgehört werden, die dem unantastbaren Kernbereich des TK-Geheimnisses zuzurechnen sind? Erst vor wenigen Monaten musste das Bundesverfassungsgericht dem niedersächsischen Gesetzgeber erklären, dass auch im Bereich der TKÜ der Kernbereich privater Lebensgestaltung unantastbar ist. Diese Vorgabe missachtet Ihre Regelung.
Auch sind Sie für eine Regelung verantwortlich, nach der auch bei Personen unter 14 Jahren, also Kindern, eine DNA-Analyse durchgeführt werden darf. Voraussetzung ist, dass die Kinder eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen haben und das auch in Zukunft von ihnen zu erwarten ist. Dem Nachwuchs können zu diesem Zweck Körperzellen entnommen werden; das auf diese Weise erlangte Material darf untersucht und das so gewonnene DNA-Muster gespeichert werden. Dabei übersehen Sie, Herr Bouffier, dass die Verfehlungen von Kindern das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung in aller Regel nur wenig - wenn überhaupt - beeinträchtigen. Eine erhebliche Beeinträchtigung dieses Sicherheitsgefühls gehört aber nach verfassungsgerichtlichen Maßstäben zu einer erheblichen Straftat. Es stellt sich also grundsätzlich die Frage, ob die Kleinsten der Gesellschaft überhaupt "erhebliche Straftaten" im Sinne des Gesetzes begehen können. Über diese Zweifel hinaus missachten Sie das Prinzip, wonach frühzeitige Stigmatisierungen von jungen Menschen - etwa durch ihre Speicherung in einer "Verbrecher-Datei" - vermieden werden sollen. Und schließlich hätten Sie sich mit dem Einwand, dass Sie für DNA-Analysen zur Vorsorge für zukünftige Strafverfolgungen überhaupt keine Gesetzgebungskompetenz besitzen, etwas näher befassen sollen. Das wurde Ihnen bei der Sachverständigenanhörung im Hessischen Landtag auch ausdrücklich nahe gelegt. Genützt hat dieser Rat offenkundig wenig, denn das Gesetz wurde dennoch unverändert zur Abstimmung gebracht. Und deshalb werden Ihnen in naher Zukunft wohl die Gerichte die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern eingehender erläutern müssen.
Kommen wir zum öffentlichen Verkehrsraum, den Sie, Herr Bouffier, offenkundig in erster Linie als Überwachungsraum missverstehen. Als eines der ersten Bundesländer hat Hessen für eine Befugnis zum sog. Kennzeichen-Scannen gesorgt. Mittels Ihrer Befugnis wird die Polizei ermächtigt, im Straßenverkehr einen Abgleich von Kfz-Kennzeichen mit Fahndungsdateien der Polizei durchzuführen. Dabei wird immer dann ein Personenbezug hergestellt, wenn das Fahrzeug von seinem Halter geführt wird: Die Polizei weiß dann also, wer sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort befunden hat. Darin unterscheidet sich die Maßnahme von der "einfachen" Videoüberwachung des öffentlichen Raums durch die Polizei, bei der diese ja in der Regel nicht weiß, wen sie mit ihren Kamera-Augen auf Schritt und Tritt observiert. Dieser Personenbezug des Kennzeichen-Scannens lässt die Fahndungsmaßnahme folglich als besonders eingriffsintensiv erscheinen.
Auch in Sachen Videoüberwachung meinen Sie, neue Maßstäbe setzen zu müssen. Im Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung steht inzwischen eine Ermächtigung, nach der die Polizei anlässlich von Personenkontrollen - etwa am Rande von Großveranstaltungen - Videoaufnahmen machen darf. Nicht nur, dass Sie damit einen weiteren Bereich des öffentlichen Lebens - zu der ja auch gelegentlich die Feststellung der Personalien von Personen gehört - einer Totalüberwachung unterwerfen. Nein, Sie differenzieren bei der Befugnis zur Speicherung der Videoaufnahmen auch noch zwischen den kontrollierten Personen und unvermeidbar betroffenen Dritten. Die Speicherung ist nur bei den Kontrollierten erlaubt, bei den übrigen Passanten aber nur die Datenerhebung, also die Vorstufe für eine Datenspeicherung. Wie aber, Herr Bouffier, wollen Sie eine Datenspeicherung der Passanten verhindern, wenn das Abbild der kontrollierten Personen gespeichert wird? Die Jury hält das, was nun im Gesetz steht, wirklich für legislativen Unfug, auf den Sie per Rechtsgutachten ebenfalls im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes bereits hingewiesen worden waren.
Sie, Herr Bouffier, sind Wiederholungstäter im Sinne der BigBrotherAwards. Bereits im Jahr 2002 wurden Sie geehrt für eine Polizeirechtsnovelle, mit der die Voraussetzungen für die Rasterfahndung erheblich herabgesetzt wurden und damit gleichzeitig eine sehr sorgfältig begründete Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt konterkariert wurde. Wir haben das als Ihre erste, erhebliche Verletzung bürgerlicher Freiheit verstanden, durch die das sichere Gefühl, in einem freien Land zu leben, erheblich beeinträchtigt wurde. Das neue Hessische Polizeigesetz ist nun ein weiterer Beweis dafür, welch geringe Bedeutung Sie datenschutzrechtlichen Belangen zusprechen. Informationelle Selbstbestimmung, Herr Bouffier, ist ein Grundrecht. Irrtümlich gehen Sie offensichtlich immer noch davon aus, dass man Grundrechte fast beliebig einschränken kann, ohne irgendwann auch ihren Wesensgehalt anzutasten. Dieses abermalige Vergehen an einer freien Gesellschaft führt zu Ihrer unbefristeten Speicherung in der bei uns geführten Datei über Datenkraken.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Bouffier.