Generalstaatsanwalt Schleswig-Holstein
Der BigBrotherAward 2005 in der Kategorie "Kommunikation" geht an Erhard Rex, den Generalstaatsanwalt Schleswig-Holstein, als Leiter der Staatsanwaltschaften Kiel und Lübeck, für die großflächige Suche nach Zeugen mittels Handy-Ortung ohne fundierte Begründung und für die Verweigerung, die dazugehörigen Unterlagen den Datenschützern des Landes Schles-wig-Holstein zur Einsicht zur Verfügung zu stellen.
Als im Juni 2005 ein Restpostenmarkt in Bad Segeberg durch Brandstiftung in Flammen aufgeht, beantragt die Staatsanwaltschaft, dass die Polizei eine so genannte Funkzellenabfrage durchführen darf. Die Mobilfunkanbieter T-Mobile, Vodafone, E-Plus und O2 werden daher aufgefordert, jeden ihrer Kunden zu ermitteln, der in der Nacht der Brandstiftung zur Tatzeit in der Nähe des Tatortes telefoniert hat. 700 Handy-Besitzer werden daraufhin von der Polizei angeschrieben. Sie sollen in einem Fragebogen angeben, wo sie in der fraglichen Nacht waren, wer bei ihnen war und ob ihnen etwas aufgefallen sei. Gegenüber der Presse gibt die Polizei zu verstehen: Wer nicht antwortet, macht sich verdächtig.
Der Fragebogen ist umfangreich - wer beispielsweise in einem Fahrzeug saß, soll Kennzeichen, Marke, Typ und Farbe angeben. Seines eigenen Fahrzeuges - Werden hier wirklich nur Zeugen gesucht? Unter den Adressaten dieses Fragebogens ist auch ein Journalist, der über das Feuer berichtet und am Tatort telefoniert hatte. Presseberichte lösen schließlich eine Behandlung des Themas im Innen- und Rechtsausschuss des schleswig-holsteinischen Landtags aus. Dabei stellt sich heraus, dass diese Funkzellenabfrage eine ganz besondere Premiere darstellt: zum ersten Mal sollen keine Verdächtigen oder gar Täter ermittelt werden, sondern Zeugen. Die jedoch werden gleich als mögliche Verdächtige behandelt.
Ein Mord in Oedendorf, südöstlich von Hamburg, im Juli 2005, führt ebenfalls zu einer Handyortung. Rund 3000 Personen werden auf Anordnung der Staatsanwaltschaft ermittelt, aber der öffentliche Druck ist groß, und die Aktion muss gestoppt werden. Bis dahin wurden jedoch bereits 150 Personen telefonisch befragt. Wie viele von ihnen werden sich - durch unbedachte Äußerungen oder Mißverständnisse - verdächtig gemacht haben? Schließlich liegt der Tatort in der Nähe einer Landstraße und einer Autobahn. Viele Handybenutzer, die hier unterwegs waren, geraten ins Visier der Ermittler.
Was mit den ermittelten Daten und den Gesprächsprotokollen geschehen ist, ist unbekannt. Denn als im September Mitarbeiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz die Datenverarbeitung überprüfen wollen, verbietet die Staatsanwaltschaft der Polizei die Herausgabe der Akten.
Die Jury des BigBrotherAward ist der Ansicht, dass in beiden Fällen das berechtigte Interesse des Staates zur Strafverfolgung in nicht hinnehmbarer Weise die Grundrechte der Betroffenen verletzt hat. Mobilfunk-Unternehmen wurden ohne konkreten Tatverdacht gezwungen, die Datenschutzvereinbarungen mit ihren Kunden zu brechen. Unzählige Unschuldige wurden zu Verdächtigen. Die Beweislast wurde umgekehrt - potenzielle Zeugen mussten beweisen, dass sie keine Täter sind.
Herzlichen Glückwunsch, Erhard Rex, Generalstaatsanwalt in Schleswig-Holstein.