Regional (2002)

Fritz Behrens

Der Versuch, mit zweifelhaften Methoden eine Novelle des Polizeigesetzes NRW zu lancieren, zeichnet Innenminister Behrens nicht aus. Dafür jedoch die Jury.
Laudator.in:
Rena Tangens am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
Rena Tangens, Digitalcourage
padeluun am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
padeluun, Digitalcourage

Der BigBrotherAward der Kategorie "Regional" geht an Fritz Behrens Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen für seinen Versuch, auf undurchsichtige Weise eine Novelle des Polizeigesetzes des Landes NRW zu lancieren, mit der video- bzw. kameragestützte Überwachung öffentlicher Plätze im Bundesland möglich werden sollen.

Gründe

Es ist ja nur der Regionalpreis - deswegen wollen wir's kurz machen. Auf der anderen Seite passiert, das was hier in Nordrhein-Westfalen passiert, so oder so ähnlich in fast allen anderen Bundesländern in Deutschlands, also wollen wir auch darauf hinweisen, dass dieser Preis - obgleich es nur der Regionalpreis ist - eine weit reichende Bedeutung hat.

Lobbyvereine - allen voran wohl der Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) e.V. - drücken das Thema Videoüberwachung in die politischen Gremien hinein. Aber dem Thema Videoüberwachung wollen wir gar keinen Preis verehren, denn hier ist längst klar, dass es nicht um mehr Sicherheit, sondern nur darum geht, Bürgerinnen und Bürgern zu suggerieren, dass man schon "was tut". Videoüberwachung auch gar nicht mehr so genannt, sondern euphemistisch mit dem Wort "Videoschutz" bemäntelt.

Dass dieses "so tun, als ob man etwas tut" (also das, was man auch "symbolische Politik" nennt) so ganz nebenbei die Grundrechte aushebelt, ist genauso bekannt, wie die Tatsache, dass Videoüberwachung nichts bringt - einer der Gründe vielleicht, warum es in Deutschland bei allen Pilotprojekten zur Videoüberwachung keine seriöse und haltbare wissenschaftliche Evaluation gibt.

Wo es keine seriösen Zahlen gibt, müssen nach den Spielregeln des lauteren Donaldismus anscheinend welche herbeigedichtet werden.

Warum? Ja, - wir staunen - mit Datum 17.7.2002 veröffentlicht das Innenministerium NRW eine Presseerklärung, dass in NRW zukünftig in "Kriminalitätsbrennpunkten mit gezielter polizeilicher Videoüberwachung auch gegen Diebstahl, Körperverletzung und Sachbeschädigung" vorgegangen werden soll.

Das ganze mit Verweis auf ein vorgeblich erfolgreiches Pilotprojekt in Bielefeld. Hier wurde von Ende Februar 2001 bis Ende März 2002 ein öffentlicher Park überwacht. Übrigens genau jene hübsche Parkanlage, in dem das Gebäude steht, in dem die Verleihung der BigBrotherAwards vorgenommen wurde.

Das Innenministerium verweist auf die "erfolgreichen Zahlen" des Bielefelder Modellprojekts. Die sollen jetzt dafür herhalten, dass das Polizeigesetz des Landes NRW geändert werden soll, so dass Videoüberwachung zukünftig an allen öffentlichen Plätzen erlaubt ist.

Tatsächlich gibt es solche "erfolgreichen Zahlen" nicht: Die Zahl der Straftaten im Ravensberger Park ging bereits im Jahr 2000 entscheidend zurück. Ups, - kleiner Schönheitsfehler - das war 1 Jahr vor der Installation der Überwachungsanlagen im Ravensberger Park. Die exakt gleichen Zahlen der Polizei zu Grunde legend, können wir heute völlig zu Recht und objektiv erklären, dass die Zahl der Straftaten im Park seit Installation der Kameras nicht gesunken, sondern im Gegenteil um 50% gestiegen ist - von 6 Straftaten im Jahr 2000 auf 9 Straftaten im Jahr 2001 (wahrlich ein Kriminalitätsschwerpunkt hier!).

Der Rückgang von Straftaten vor Installation der Kameras von 1999 auf 2000 hatte andere Gründe: Das Gelände wurde wegen der Expo hübsch gemacht, aufgeräumt, Sträucher zurück geschnitten, eine Ruine entfernt resp. renoviert, neue Beleuchtung installiert. Die Angebote für Alkohol- und andere Suchtkranke wurden deutlich verbessert, so dass für diese weniger Notwendigkeit bestand, sich im Park aufzuhalten.

Richtig ist: Eine Evaluation des sogenannten Modellprojektes Videoüberwachung kann es wegen fehlender Zahlen nicht geben. Der beauftragte Gutachter, Prof. Dr. Klaus Boers vom Institut für Kriminologie der Universität Münster lehnte die wissenschaftliche Begleitung deswegen ab.

Ich will es nicht so spannend machen, wer denn nun den Preis, den beim Oberthema "Video-Disziplinierung" eigentlich so viele verdient haben, zuerkannt bekommt: Es ist der Innenminister des Landes NRW, Fritz Behrens Er weilt bis Sonntag noch im Urlaub und kann deswegen - natürlich nur deswegen - diesen Preis nicht annehmen.

Er bekommt diesen Preis nicht - ich erwähnte es eingangs schon - wegen des Modellprojektes Videoüberwachung an sich. Sondern für das - hm, ich sag mal - "Herbeilügen" von Erfolgen. Vom seriösen Forscher in Münster hatte es einen Korb gegeben. Am 25. Juli 2002 schickte IM Behrens dem Präsidenten des Landtages NRW in 180-facher Ausfertigung einen Abschlussbericht der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Bielefeld, wo die Polizeibeamten für den gehobenen Dienst ausgebildet werden - und einer der verantwortlichen Polizisten des Videoüberwachungsprojekts war auch gleich einer der Leiter der Projektstudie.

Im Anschreiben des Ministers zum selbst bestellten Bericht lesen wir, dass es sich bei dem Bericht um eine erste Evaluation handele, zwangsläufig noch auf einer recht schmalen Datenbasis. Diese solle fortgesetzt werden, durch ein Forschungsprojekt, dass im Herbst 2002 konkret durchgeführt werden solle. Und er beabsichtige, dieses weiterführende Projekt mitfördernd zu gestalten.

Das mutet wie richtige Forschung an. Und die Presseagenturen meldeten in ganz Deutschland, wie wunderbar toll auch dieses Modellprojekt erfolgreich gewesen sei. Und in der Zwischenzeit wird schon mal das Polizeigesetz, § 15, Absatz 2 des Polizeigesetzes NRW geändert. Aufgrund eines tendenziösen, unwissenschaftlichen Berichts, der, wie Minister Behrens in seinem Schreiben zugibt, wissentlich auf ungenügendem Zahlenmaterial beruht.

Die BigBrotherAwards werden in Bielefeld vergeben. In Baden-Württemberg hätten wir über einen Fall von beobachteter illegaler Taubenfütterung geschmunzelt, im bayerischen Regensburg hat die Videoüberwachung auch keine Ergebnisse gebracht. Aber alle diese Projekte waren angeblich erfolgreich. Wie solch ein nicht vorhandener Erfolg konstruiert wird, haben wir hier vor Ort hautnah mit erleben dürfen. Aufgrund eines solchen wissentlich auf ungenügendem Zahlenmaterial beruhenden, tendenziösen, unwissenschaftlichen Berichtes eine schwerwiegende Gesetzesänderung, die in demokratische Grundrechte eingreift, veranlassen zu wollen ist unverantwortlich - und preiswürdig.
Dafür gibt's den BigBrotherAward.

Herzlichen Glückwunsch, Herr Minster!

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Laudator.in

Rena Tangens am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
Rena Tangens, Digitalcourage
padeluun am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
padeluun, Digitalcourage
Quellen:

Weitere Informationen:

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

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Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.