Der BigBrotherAward der Kategorie "Behörden und Verwaltungen" geht an Hartmut Mehdorn Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Bahn AG.
Mit dieser Nennung soll auf die undurchschaubare Gemengelage der Videoüberwachung durch die Deutsche Bahn AG aufmerksam gemacht werden. Undurchschaubar für die Betroffenen ist, wer jeweils für die Überwachung zuständig ist: Die Bahn AG, der Bundesgrenzschutz (BGS) oder der Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn AG (BSG).
Gründe
Stellen Sie sich vor, sie befinden sich an einem belebten Ort mitten in der Stadt. Um sich herum tun viele Menschen mehr oder weniger öffentliche Dinge. Sie tun, was Menschen in der Öffentlichkeit allein und miteinander tun: Gehen, kommen, sitzen, essen, trinken, miteinander sprechen. Sie reisen irgendwohin oder kommen sonstwo her, wollen in den Urlaub, kehren von der Arbeit zurück oder müssen schnell noch etwas einkaufen.
Fast alle Anwesenden befinden sich in der eigenen Wahrnehmung im öffentlichen Raum; bis auf die wenigen, die wissen, daß der gesamte Ort ununterbrochen mit Videokameras überwacht wird. Damit nicht genug, denn nicht einmal die wenigen Wissenden können sagen, wer ihnen denn nun bei ihrem Tun in diesen gemeinhin öffentlichen Raum zusieht.
Beklemmend? Ja.
Weit hergeholt? Nein.
Gehen Sie zum nächsten Bahnhof und Sie haben alle Chancen, dauernd beobachtet werden.
Die Deutsche Bahn AG mit Sitz in Berlin (Stammkapital: 4,3 Milliarden Mark) verfolgt zur Beseitigung von Service-, Sicherheits- und Sauberkeitsdefiziten das sinnreich sogenannte 3-S-Konzept (Eigenwerbung: "Unser Wohlfühl-Programm").
Es besteht - neben so innovativen Features wie einer Zugauskunft, Informations- und Notrufsäulen sowie "Multifunktionalen Wartepavillons" und den Anstrengungen der "extra hierfür gegründeten Tochterfirma BRG (Bahnreinigungs GmbH)" (Eigenwerbung der Bahn AG) - in der Hauptsache aus einer lückenlosen Videoüberwachung von zunächst 42 Bahnhöfen in ganz Deutschland, wo zwölf bis 24 Mitarbeiter des Privatunternehmens Bahn das Tun der Menschen in vermeintlich öffentlichem Raum beobachten.
Tatsächlich sind die Bahnhöfe längst Privatgrund. Der entstaatlichte Bahnbetrieb findet an Orten statt, wo die Bahn AG als Eigentümerin Hausrecht ausübt.
So haben nicht nur die Mitarbeiter der 3-S-Zentrale der Bahn, sondern auch die Angehörigen der betriebseigenen Bahn Schutz und Service GmbH (BSG) Zugang zu den gemachten Aufnahmen. Außerdem gibt es eine enge Zusammenarbeit mit der lokalen Polizei und dem Bundesgrenzschutz (BGS), die dauernd Zugriff zu den Videos haben.
Die Behörden können jederzeit auf die gesamte Technik der Beobachtungszentralen zugreifen, die nicht nur die Bahnhofsgebäude, sondern auch die Vorplätze und angrenzenden Flächen "bestreichen".
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz fand eine deutliche Abgrenzung der Tätigkeiten und Zielrichtungen zwischen Bahnpersonal und Polizei/BGS notwendig. Das widerspricht allerdings den praktischen Aufgaben, denn nur über direkte Kommunikation ist eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich zu gewährleisten. De facto ist die Erfüllung dieses Tennungsanspruchs weder kontrollierbar noch von den Beteiligten angestrebt.
Während Kameras an öffentlich zugänglichen Gebäuden auch für Privatunternehmen unter gewissen Bedingungen zwar zulässig sind, aber deutlich sichtbar sein müssen, gelten solche Einschränkungen für die Überwachung der Bahnhöfe nicht.
Nachdem die Aufgaben nach der Ersetzung der früheren Bahnpolizei durch den BGS deutlich neu definiert worden sind, bleibt vor allem hier ein schaler Geschmack: Der paramilitärische BGS ist dem Bund unterstellt und seit seiner Gründung 1951 von einer Truppe zur Grenzbewachung und 'Einnordung von abtrünnigen Bundesländern' zu einem multifunktionalen Werkzeug der innenpolitischen Auseinandersetzung geworden.
Verfassungsrechtler wie der Frankfurter Jurist Günter Frankenberg sehen in der derzeitigen Verwendung des BGS gar einen Verfassungsbruch: Die Bundestruppe kann in den Ländern nur auf Anforderung von dort tätig werden, was einen dauernden Einsatz auf Bahnhöfen oder Flugplätzen eigentlich ausschließt.
Abschließend: Die Bahnhöfe der Zukunft werden umgewandelt zu Einkaufszentren. Die Verwaltung der Bahn dagegen wird in unattraktive Stadtbereiche ausgelagert. Die Videoüberwachung aus vordergründigem kommerziellen Interesse über die Hintertreppe der Demokratie eingeführt, gefährdet die Privatsphäre. Probleme werden von ferne beobachtet, wenn etwas stört, wird ES entfernt. Soziale Kälte wird mit noch mehr Kälte beantwortet. An der Spirale der Kälte wird weiter gewerkelt, andere Modell nicht einmal gedacht. Pendlerinnen werden z.B. täglich, andere Reisende von Fall zu Fall erfaßt, ohne es selbst erfassen zu können. In den neuen Einkaufszentren der S-Klasse entsteht nun eine Gemengelage von privatem Hausrecht, lüstern von einem martialisch mit Phantasieuniform ausgestatteten Trüppchen bewacht und staatliche Zugriffskompetenz steht als "Bundespolizei" der BGS in Ruf- und Sichtweite mit seinen Sonderrechten bereit.
- Deutsche Bahn macht anonymes Reisen beinahe Unmöglich22.12.2020Update zu BBAs